Unterwegs und beschäftigt – das mobile Arbeiten
Herr Grüß, Sie haben auf der Tagung über mobiles Arbeiten referiert. Welche Chancen und Risiken beinhaltet diese Arbeitsform für Beschäftigte?
Burkhard Grüß: Aufgrund der zunehmenden Digitalisierung kann heute in vielen Branchen mobil gearbeitet werden. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Pendelzeiten verringern sich oder entfallen, Beschäftigte erhalten mehr Autonomie, die zu mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitorganisation führt und auch die Work-Life-Balance kann sich verbessern. Zu den Risiken zählen die Tendenz zu längeren Arbeitszeiten, die mitunter von den Beschäftigten selbst ausgeht, oder die Entgrenzung von bezahlter Arbeit und Privatleben. Diese und weitere Faktoren können sich stark auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten auswirken.
Welche Herausforderungen beinhaltet das für die Berufsgenossenschaften und wie wirkt sich das auf die Beratung und Unterstützung von Mitgliedsbetrieben aus?
Burkhard Grüß: Nur einzelne Aspekte des Arbeitsschutzes zu thematisieren, wie beispielsweise eine ergonomische Arbeitshaltung an den wechselnden Arbeitsorten, greifen bei diesem Thema zu kurz. Hier sind ganzheitliche Ansätze gefragt. Die Berufsgenossenschaft will daher die Zusammenarbeit aller fachlich betroffenen Akteure im jeweiligen Betrieb fördern. Das sind neben dem betrieblichen Arbeitsschutz auch die Arbeitsmedizin, das Gesundheitsmanagement sowie das Personalmanagement. Sie alle gestalten einerseits unterstützende Rahmenbedingungen bei der mobilen Arbeit, andererseits sind sie wichtige Multiplikatoren für Arbeitsschutzinhalte, um sie den mobil arbeitenden Beschäftigten kontinuierlich zu vermitteln.
Welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, um auch unterwegs sicher und gesund arbeiten zu können?
Grüß: Mobiles Arbeiten kann sehr unterschiedliche Ausprägungen haben. Somit können die Rahmenbedingungen und konkreten Handlungsansätze nur vom jeweiligen Arbeitgeber selbst gesetzt werden – ein wichtiger Ansatzpunkt für die Berufsgenossenschaften. Wichtig ist, die Beschäftigten bei der Arbeitsgestaltung einzubeziehen und bei Themen wie Arbeitszeit, Erreichbarkeit, Kommunikation oder benötigte Arbeitsmittel zu beteiligen. Sind diese an die Tätigkeit und die individuellen Bedürfnisse angepasst, werden Beanspruchungen reduziert und ein sicheres und gesundes Arbeiten ermöglicht.
Digitaler Durchblick – die Datenbrillen
Herr Rockhoff, in Ihrem Vortrag ging es um Datenbrillen. Wo setzt man diese derzeit und künftig ein?
Rockhoff: Datenbrillen sind Brillen, auf denen Informationen für die Nutzerinnen und Nutzer auf verschiedene Weise eingeblendet werden. Sie kommen in unterschiedlicher Form zur Anwendung, zunehmend im Bereich Lager und Logistik, dort zum Beispiel beim Kommissionieren oder auch in der Konstruktion und Planung neuer Arbeitsplätze. Künftig werden Datenbrillen wohl zunehmend als Informationsquelle bei der Instandhaltung von Autos, Lastkraftwagen oder Flurförderzeugen verwendet.
Wie wirkt sich diese neue Technologie auf den Arbeitsschutz aus?
Rockhoff: Einerseits können Datenbrillen im Arbeitsschutz helfen, indem sie beispielsweise die Nutzerinnen und Nutzer vor Gefahrstoffen, gefährlichen Bereichen oder beweglichen Maschinenteilen warnen. Andererseits sind die Einsatzbereiche der Datenbrillen bei der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten mit Bedacht zu wählen, um Gefährdungen oder negative Beanspruchungen zu vermeiden, so zum Beispiel in Form einer Reizüberflutung oder Ablenkung. Forschungsprojekte mit hohem Praxisbezug helfen den menschengerechten Arbeitseinsatz von Datenbrillen zu optimieren.
Zurzeit sind Tätigkeiten mit Datenbrillen in keiner speziellen arbeitsmedizinischen Vorsorge berücksichtigt. Die Notwendigkeit diesbezüglicher Regelungen muss gegebenenfalls geprüft noch werden. In jedem Fall ist der Einsatz von Datenbrillen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen.
Exoskelette in der Arbeitswelt – Ergonomie von morgen?
Frau Schöneich-Kühn, die sogenannten Exoskelette werden am Körper getragen und stabilisieren, unterstützen und/oder korrigieren wie ein äußeres, bewegliches „Gerüst“ die Körperhaltungen und -kräfte der Trägerinnen oder Träger. Welches Potenzial beinhalten sie?
Schöneich-Kühn: Zunächst ist festzuhalten, dass grundsätzlich der Hersteller oder Inverkehrbringer den Einsatzzweck eines Exoskeletts bestimmt. Denkbar sind zum Beispiel Arbeitsmittel zur Ausführung von Tätigkeiten mit erhöhter Kraftanstrengung bzw. Kraftwirkung oder Arbeiten in Zwangshaltung. Sie können aber auch zur Verwendung als persönliche Schutzausrüstung oder medizinisches Hilfsmittel vorgesehen sein. Jeder Einsatzzweck stellt andere Anforderungen an die Unternehmen und selbstverständlich auch an die sie tragende Person. Aus Sicht der Berufsgenossenschaft liegt das größte Potenzial der Exoskelette in der Optimierung physischer Belastungen, beispielsweise an nicht stationären Arbeitsplätzen. Allerdings gibt es derzeit noch nicht genügend Langzeituntersuchungen zu den tatsächlichen Wirkungen und Nebenwirkungen. Eine Pauschalbewertung ist daher noch nicht möglich.
Was muss speziell beim Thema Sicherheit (für den Träger und die Umwelt) berücksichtigt werden?
Schöneich-Kühn: Das Wichtigste ist: Auch Exoskelette sollten nur bestimmungsgemäß verwendet werden. Um Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu minimieren, muss der Unternehmer eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. Hierbei sind z. B. der Umgang mit möglichen Fehlfunktionen, mögliche Einschränkungen bei Selbstrettung, Sturz- und Stolpergefahren oder langfristige Auswirkung auf das Muskel- und Skelettsystem zu betrachten. Neben dem Austausch mit dem Hersteller können Unternehmensverantwortliche auch Präventionsexperten des für sie zuständigen Unfallversicherungsträgers konsultieren.
Außerdem muss darauf geachtet werden, dass die Schnittstelle Mensch-Maschine ergonomisch gestaltet ist, so dass nicht zusätzlich ungünstige Belastungen entstehen oder Fehlbedienungen ermöglicht werden, die zu Unfällen führen können. Eine komfortable Handhabung der Exoskelette, zum Beispiel geringer Aufwand beim An- und Ausziehen, ist Voraussetzung. Bevor diese Produkte flächendeckend in der Arbeitswelt angewendet werden, besteht zur menschengerechten Einsatzgestaltung aus Sicht der Fachleute noch Forschungs-, Regelungs- und Standardisierungsbedarf.
Weitere Information: Auf der BGHM-Homepage www.bghm.de steht unter Webcode 2868 die Fachinformation 0059 zum Thema Exoskelette als PDF-Download zur Verfügung.
Über die Interviewpartner:
Cornelia Schöneich-Kühn ist Leiterin des Sachgebiets Psychische Belastung der Hauptabteilung Sicherheit und Gesundheit der BGHM. Burkhard Grüß und Marc Rockhoff sind Mitarbeiter im Sachgebiet Psychische Belastung der Hauptabteilung Sicherheit und Gesundheit der BGHM.
Über die BGHM:
Im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben – Prävention, Rehabilitation und Entschädigung – ist die BGHM zentralen Werten verpflichtet: der Sicherheit und Gesundheit ihrer Versicherten sowie der Existenzsicherung ihrer Mitgliedsunternehmen durch Haftungsablösung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. In diesem Sinne übernimmt die BGHM als ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bundesweit den Versicherungsschutz von über 4,7 Mio. Beschäftigten in den mehr als 215.000 Betrieben der Branchen Holz und Metall.
Im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben – Prävention, Rehabilitation und Entschädigung – ist die BGHM zentralen Werten verpflichtet: der Sicherheit und Gesundheit ihrer Versicherten sowie der Existenzsicherung ihrer Mitgliedsunternehmen durch Haftungsablösung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. In diesem Sinne übernimmt die BGHM den Versicherungsschutz von über 4,7 Mio. Beschäftigten in den mehr als 215.000 Betrieben der Branchen Holz und Metall.
Berufsgenossenschaft Holz und Metall
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55124 Mainz
Telefon: +49 (6131) 802-0
http://www.bghm.de
Pressesprecherin
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Fax: +49 (6131) 802-25734
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Stv. Pressesprecher
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