Wir fordern Bundesregierung und EU-Kommission auf, nicht weiter die weltweite Bekämpfung der Corona-Pandemie zu blockieren – mit detaillierter FAQ

Durch die Blockadehaltung von Bundesregierung und EU-Kommission wird der TRIPS-Waiver gefährdet. Die darin geforderte, temporäre Freigabe der Corona-Impfstoffpatente ist ein essentieller Schritt für eine effektive globale und langfristige Bekämpfung der Pandemie. Es ist höchste Zeit, dass alle Regierungen der EU die Zeichen der Zeit erkennen und sich für den Antrag aussprechen.

Wie in der FIfF-Pressemitteilung vom 24.04.2021 beschrieben, haben Südafrika und Indien im Oktober 2020 einen bemerkenswerten Vorstoß unternommen: Ihr Antrag fordert bei der WTO die vorübergehenden Aussetzung der internationalen Verfolgung von Verstößen gegen geistige Eigentumsrechte auf Covid-19 Impfstoffe und anderer für die Pandemiebekämpfung nötiger medizinischer Technologien [1].

Im globalen Weltgefüge hat sich daraufhin eine deutliche Kluft aufgetan: Nahezu alle Länder des Globalen Südens haben sich dem Antrag angeschlossen oder unterstützen ihn, während sich die Länder des Globalen Nordens größtenteils dagegen aussprachen. Eine breite Front von Hilfsorganisationen unterstützt den TRIPS-Waiver und konnte in den letzten Tagen einen großen Erfolg vermelden: Katherine Tai – Handelsbeauftragte der USA – hat sich für den Waiver ausgesprochen. Dies ist eine Entwicklung, die noch vor kurzer Zeit als undenkbar galt. Die politische Debatte um die Aussetzung der Patente hat dadurch auch in Europa neuen Schwung bekommen, wird jedoch unter anderem durch die deutsche Regierung blockiert. Um den Weg für eine effektive globale Pandemiebekämpfung freizumachen, stellt das FIfF daher drei zentrale Forderungen:

1. Wir fordern die Bundesregierung auf, den TRIPS-Waiver zu unterstützen. Die Aussetzung der Impfstoffpatente ist ein notwendiger Schritt hin zur Mobilisierung aller global verfügbaren Impfstoffproduktionskapazitäten. So wird Rechtssicherheit gewährt und der Ausbau der Produktion im globalen Süden grundsätzlich erlaubt.

2. Wir fordern die Bundesregierung auf, öffentlich geförderte Pharmaunternehmen in geeigneter Art zu verpflichten, sich am COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) oder vergleichbaren Programmen zu beteiligen, und Technologietransfers in den globalen Süden zu unterstützen. So können die Länder des globalen Südens vollen Nutzen aus den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen ziehen.

3. Wir fordern die Bundesregierung auf, auch über die Pandemie hinaus Regelungen zu schaffen, die sicherstellen, dass öffentlich geförderte medizinische Forschung direkt der Allgemeinheit zugutekommt und nicht künstlich verknappt wird, um Profitinteressen zu genügen (Öffentliches Geld – Öffentiches Gut).

Moderne Pharma- und Biotechnologie ist ohne Informationstechnik undenkbar. An jedem Impfstoffrezept und in jedem Pharmaunternehmen arbeiten Naturwissenschaftler:innen, Ingenieur:innen und Informatiker:innen. Ohne deren Arbeit kann es die neuartigen Impfstoffe nicht geben. Sie ermöglichen, dass Covid-19 die erste Pandemie einer Atemwegserkrankung in der Geschichte werden kann, die weit hinter ihrem vollen zerstörerischen Potential zurückbleibt.

Es ist daher wichtig, dass auch wir als Informatiker:innen Stellung beziehen. Als Informatiker:innen wissen wir aus vielen anderen politischen Debatten, dass Gesetze zum geistigen Eigentum oft im Interesse Weniger und gegen die Interessen Vieler angewendet werden. Die Erschließung aller global zur Verfügung stehenden Impfstoffproduktionsmittel ist aber vor dem Hintergrund der Pandemie unerlässlich. Dies ist eine der größten sozialen Fragen der Gegenwart. Eine faire Verteilung ist nur möglich, wenn Impfstoffe nicht weiter künstlich verknappt werden.

Oft gestellte Fragen / FAQ

Auch die FIfF-Pressemitteilung vom 24.04.2021 hat dazu beigetragen die Diskussion in der Zivilgesellschaft anzuschieben. Uns haben in der Folge viele Zuschriften erreicht und wir wollen hier auf einige Punkte genauer eingehen und damit Rüstzeug für die Meinungsfindung geben. An dieser Stelle sei auch noch einmal die sehr gute FAQ von Ärzte ohne Grenzen empfohlen.

Frage: Für die Bekämpfung der Pandemie bewerben die wirtschaftlich starken Länder die Initiative COVAX. Was haltet ihr von dieser Alternative?

Antwort: COVAX ist völlig unzureichend und setzt die Abhängigkeit der Länder des Globalen Südens vom Globalen Norden fort. Die COVAX-Initiative zielt lediglich auf eine Versorgung von 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerungen der beteiligten Länder bis Ende 2021 ab. Zudem werden selbst diese wenigen Dosen bisher nicht plangemäß bereitgestellt. [2] Die WHO zeichnet ein bestürzendes Bild der bisherigen Impfstoffverteilung: Stand Anfang April 2021 wurden nur 0,2 Prozent der 700 Millionen global produzierten Dosen in Länder mit niedrigen Einkommen verimpft [3]. Solange die Abhängigkeit von Finanzierung und Spenden aus den Ländern mit hohem Einkommen fortbesteht, werden auch in Zukunft nur die „Überschüsse“ weitergereicht werden.

Zudem benötigen wir schnellstmöglich Impfstoff, etwa viermal so viel, wie weltweit gerade jährlich produziert wird. Im Sinne einer schnellen und effektiven Bekämpfung der globalen Pandemie und getreu dem Grundsatz „Öffentliches Geld – öffentliches Gut“ müssen Produktionskapazitäten dafür auf der ganzen Welt aufgebaut werden.

Frage: Wie genau würde die Aussetzung von Patenten von ärmeren Ländern genutzt werden können? Welche der ärmeren Länder sind denn in der Lage eigene Fabriken aufzubauen und zu betreiben?

Antwort: Um Produktionskapazität aufzubauen, müssen die Länder es erstens dürfen und zweitens können. Das Dürfen wird durch den TRIPS-Waiver abgedeckt, das Können ist entweder bereits vorhanden, oder muss durch Schulungen gewährleistet werden – klassischer Technologietransfer.

Die Fabriken müssen nicht erst gebaut werden. Die Vorstellung ist überholt, nur die westliche Welt hätte die technische Expertise, diese Produkte herzustellen. Diverse Länder des globalen Südens sind nachweislich in der Lage und bereit, in die Produktion dieser Güter einzusteigen bzw. diese Produktion auszuweiten. Dass gilt zum Beispiel für Indien, Bangladesch, Uganda, Indien, Argentinien, Brasilien, Südkorea und Pakistan [4]. Doch eine Aussetzung der Patentrechte würde eben auch ermöglichen, dass neue Produktionsstätten erschlossen werden können. Das dass innerhalb von wenigen Monaten geht, wurde in den letzten Monaten bewiesen.

So zeigt etwa jenes in der FIfF-Pressemitteilung vom 24.04.2021 beschriebene Beispiel der HIV/AIDS Pandemie, dass der wichtigste Faktor für den Zugang zu Medikamenten im globalen Süden der Preis ist. Patente und andere Formen des geistigen Eigentums stehen aber der lokalen Produktion von günstigen Generika im Wege. Auch Nicole Lurie von der Coalition for Epidemic Preparedness Initiatives (CEPI) bestätigt: “There is excess [vaccine production] capacity out there, still. The challenge is that right now the companies that have got established vaccines are really hesitant to form partnerships, particularly with some developing country manufacturers.” [5]

Damit z. B. interessierte Generika-Produzenten mit der Impfstoffproduktion beginnen können, brauchen sie auch die Rezepte für die Herstellung. Es gibt dafür bereits einige Initiativen, z. B. den COVID-19 Technology Access Pool (C-TAP) [6] und den COVID-19 mRNA vaccine technology transfer hub [8]. Der C-TAP wurde bereits im Mai 2020 von der WHO auf Initiative Costa Ricas gestartet. Er hat sich fünf Ziele gesetzt, die für eine schnelle Produktentwicklung und Versorgung wichtig sind:

  1. Gensequenzen und Daten öffentlich verfügbar zu machen, um die Forschung zu beschleunigen;
  2. Transparenz bei den Studienergebnissen herzustellen, damit es Klarheit über die besten Produkte gibt;
  3. Regierungen und andere Geldgeber sollen ihre Zahlungen an Firmen und Forscher:innen an Bedingungen knüpfen: gerechter Zugang, günstige Preise und eine vollständige Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten;
  4. Produktentwickler:innen sind aufgefordert, ihre Covid-19-Technologien, geistigen Eigentumsrechte und Daten freiwillig in den Patentpool einzubringen, um eine schnelle und kostengünstige Generikaproduktion zu ermöglichen;
  5. Offene Innovationsmodelle und Technologietransfer zu fördern, um eine lokale Produktion zu ermöglichen und lokale Versorgungsstrukturen zu stärken.

Zum Vorbild nimmt sich C-TAP den Medicines Patent Pool [7], dem große Erfolge in der günstigen Verfügbarkeit von Medikamenten zur Behandlung von HIV, Tuberkulose und Hepatits C gebracht hat. Auch dem C-TAP verweigert die deutsche Bundesregierung übrigens sie Unterstützung. Es fehlt bisher an Beteiligung von Industriestaaten und Unternehmen, um den Pool auch mit nutzbarem Inhalt zu füllen.

Der COVID-19 mRNA vaccine technology transfer hub ist im April 2021 mit speziellem Fokus auf die mRNA Wirkstoffe ins Leben gerufen worden.

Weitere Argumente fasst Cooperate Europe hier zusammen: https://corporateeurope.org/en/2021/04/big-pharma-lobbys-self-serving-claims-block-global-access-vaccines

Frage: Wieso hilft die Aussetzung von Patenten bei der COVID-Impfung, obwohl auf den COVID-Impfstoffen [zum Teil] noch gar keine Patente liegen, weil der Patentprozess bei den Impfstoffen noch gar nicht abgeschlossen ist (alle im Anmeldestadium, wenn überhaupt)?

Antwort: Der Patentschutz auf ein Produkt oder eine Technologie beginnt nicht an dem Tag an dem das Patent gewährt wird, sondern i.d.R. rückwirkend zu dem Tag an dem das Patent angemeldet wurde. Die rechtlichen Details sind in jedem Land unterschiedlich, was die Sache komplex macht. Grundsätzlich ist es aber ohne Zweifel, das Patente den Zugang zu Medikamenten im globalen Süden behindern. Das wird regelmäßig von anerkannten humanitären Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen attestiert. Auch bei anderen Impfstoffen waren Patente historisch oft ein Hindernis bei der schnellen und fairen Verteilung von Impfstoffen

Außerdem bezieht sich der TRIPS-Waiver auf verschiedene Arzneimittel und Technologien – also nicht nur auf Impfstoffe, die zum Kampf gegen die Pandemie nötig sind. Darunter sind auch Produkte, die bereits abgeschlossene Patenverfahren hinter sich haben.

Frage: Patentiert sind z. B. einige Grundlagentechnologien für mRNA-Impfstoffe, diese werden aber nicht nur für Corona-Impfstoffe eingesetzt. Würde ein Aussetzen der Patente, dann alle diese Impfstoffe betreffen?

Antwort: Prinzipiell ist der TRIPS-Waiver explizit zeitlich auf die Dauer der Pandemie begrenzt. Unabhängig davon, welche konkreten Patente bzw. welches geistige Eigentum betroffen wäre, besteht also keine Gefahr, dass  plötzlich Grundlagentechnologien nicht mehr patentiert wären.

Frage: Wäre es nicht besser, die reicheren und produzierenden Länder zu verpflichten, Mittel (finanziell und organisatorisch) bereitzustellen, um trotz evtl. bestehender Patente Impfstoff und Impfkapazität in die ärmeren Länder zu bringen?

Antwort: Diesen Ansatz verfolgt COVAX – jedoch ohne bindende Verpflichtungen. Und selbst die überschaubaren Ziele der COVAX Initiative werden aktuell weit verfehlt. Von den 700 Millionen global produzierten Dosen sind nur 0,2 Prozent in Länder mit niedrigen Einkommen verimpft worden. (Stand Anfang April https://www.who.int/director-general/speeches/detail/director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19-9-april-2021) In Anbetracht von „Impfnationalismus“ wie ihn die WHO konsterniert, ist leider nicht damit zu rechnen, dass freiwillige Selbstverpflichtungen dazu führen, dass Länder Impfdosen in signifikanten Mengen in den globalen Süden schicken werden.

Die momentanen Impfstoffproduktionskapazitäten liegen bei 3,5 Milliarden jährlichen Dosen. Um 70% der Weltbevölkerung zu impfen und damit Herdenimmunität zu erreichen, benötigen wir etwa 11-15 Milliarden Impfdosen. Die vorhandenen Produktionskapazitäten reichen also bei weitem nicht aus und es müssen neue Kapazitäten erschlossen werden. Gerade dann ist es gesundheitspolitisch nicht sinnvoll, auch weiterhin pharmakologische Produktionskapazitäten nur im globalen Norden aufzubauen. Im Sinne einer globalen Resilienz gegen Pandemien ist es wichtig, diese Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Industrienationen und Schwellenländern zu reduzieren. Dies gelingt durch den Aufbau und das Nutzen von Produktionskapazitäten und Wissenstransfer. Dies ist umso gewichtiger, da die Gefahr neuer Pandemien durch Bevölkerungswachstum und Klimawandel stetig zunimmt.

Frage: Warum sollen private Unternehmen/Konzerne die finanzielle Last einer evtl. Patentfreigabe schultern, die vermutlich über die gewährten Staatshilfen hinausgeht? Ist es gerechtfertigt, Einbußen in nicht bezifferter Höhe zu verlangen? Könnte es evtl. eine sinnvolle Forderung sein, den Verzicht auf Einnahmen wegen Freigabe der Patente auf einen prozentual von der Gewährung öffentlicher Gelder abhängigen Betrag zu begrenzen? Gibt es aus Eurer Sicht keinerlei Unterschied zwischen Pharmariesen und relativ kleinen Produzenten wie Biontech?

Antwort: Diese Unternehmen machen aktuell z.T. Rekord-Gewinne, die durch weitreichende Unterstützung durch öffentliche Gelder überhaupt erst möglich geworden sind. Auch ist überhaupt nicht klar, ob infolge des TRIPS-Waiver überhaupt Gewinne verloren gehen werden. Schließlich geht es darum, zusätzliche Impfstoffdosen in und für Länder zu produzieren, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht oder nur sehr unzureichend beliefert werden. Der TRIPS-Waiver führt dazu, dass Patentverletzungen auf globaler Ebene vorübergehend nicht verfolgt werden. Jedes Land kann jedoch entscheiden auf nationaler oder polynationaler Ebene Patentrechte weiter zu verfolgen – innerhalb Deutschlands braucht Biontech also keine Konkurrenz zu befürchten. Weiterhin entscheidet jedes Land selbst, welchen Produkten sie die Zulassung erteilt. Und schließlich ist es wichtig zu verstehen, dass der Corona-Impfstoffmarkt alles andere als gesättigt ist. Es fehlen akut Impfdosen. Im globalen Norden – dem Absatzmarkt von Biontech – braucht die Firma also keine Verdrängung befürchten, da genug weitere Schutzmechanismen greifen.

Im Übrigen: Biontech kooperiert mit Pfizer – einem absoluten Pharmariesen. Wobei letztlich die Größe dieser Firmen aber von keinerlei praktischer Bedeutung ist. Es bleibt am Ende die Frage, wie viele Menschenleben der Gesellschaft und der deutschen Bundesregierung die Gewinne dieser Unternehmen wert sind.

Frage: Wie war *konkret* die Regelung der zitierten HIV/AIDS-Impfstofffreigabe?    

Die Kurzfassung: Die Hersteller wurden gezwungen, den Ländern des globalen Südens Lizenzvereinbarungen für gewisse Medikamente anzubieten oder ihnen werden die Patente aberkannt. Weitere Details unter: 

Frage: Welchen Anteil an den Gesamtentwicklungskosten stellen die 375 Mio. EUR dar, mit denen Biontech gefördert wurde?

Antwort: Laut Biontech Geschäftsbericht von 2019 hat die Firma 225 Millionen Dollar in einer Series B Investitionsrunde und weitere 149 Millionen im Rahmen des Börsengangs eingesammelt. Laut Biontech Geschäftsbericht für die ersten neun Monate 2020, beliefen sich die Forschungsausgaben der gesamten Firma auf 388,0 Millionen Euro [9], also geringfügig mehr, als die öffentliche Förderung. Welcher Anteil davon konkret in die Entwicklung der Covid-Impfstoffe geflossen ist, ist keine öffentlich zugängliche Information. Ebenfalls unbekannt sind die tatsächlichen Produktionskosten einer Dosis. Sollte Biontech die 300 Millionen vertraglich vereinbarten Dosen an die EU liefern, läge der Umsatz – allein in der EU – bei etwa 6 Milliarden Euro. Allein im ersten Quartal 2021 hat Biontech einen Gewinn von 1,1 Milliarden Euro eingefahren [10]. Morgan Stanley projiziert Biontek/Pfizer einen weltweiten Umsatz durch den Impfstoff von 13 Milliarden Euro in 2021 [11].

Verhandlungen zwischen EU und Biontech liefen zu großen Teilen geheim ab, Verträge wurden nicht oder nur geschwärzt veröffentlicht. Das der ursprünglich geforderte Preis pro Dosis mehr als doppelt so hoch war, als das was am Ende wohl verhandelt wurde zeigt, dass hier knallharte Profitinteressen im Vordergrund stehen [12]. Eine wichtige und oft genannte Forderung von Aktivist*innen (neben dem TRIPS-Waiver) ist daher, dass  Pharmaunternehmen zu mehr Transparenz verpflichtet werden müssen, wenn Sie öffentliche Gelder erhalten.

Frage: Warum ist es der richtige Weg, Staaten, die vielfach selbst einen hohen Korruptionsfaktor aufweisen (vgl.  https://www.transparency.de/cpi/?L=0) einseitig zu gestatten, Eigentumsrechte zu ignorieren? Wie verhindert man einen Dammbruch für Patentrechte generell?

Antwort: Sofern ein Land einen hohen Korruptionsfaktor aufweist, wird die Korruption einer fairen Verteilung im Wege stehen, unabhängig davon wer die Impfstoffe produziert. Zudem: Eigentumsrechte werden nicht ignoriert. Die internationale Durchsetzung dieser Rechte wird zeitlich begrenzt ausgesetzt. Im Anschluss greifen dieselben Mechanismen wie bisher.

Frage: Mit welcher konkreten Begründung hat die Bundesregierung/EU sich gegen die Annahme des TRIPS-Waivers ausgesprochen? 

Antwort: Die Argumente lassen sich zusammenfassen als:

  • TRIPS-Waiver seien ineffektiv und nicht zielführend
  • TRIPS-Flexibilitäten + COVAX würde ausreichen
  • Forschung ist risikobehaftet und kostet Geld – Patente aussetzen bremst Innovation
  • Der Wirtschaftstandort Deutschland muss beschützt werden

Weitere Details unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/278/1927862.pdf

Valdis Dombrovskis, geschäftsführender Vizepräsident und Kommissar für Wirtschaft und Kapitaldienstleistungen der EU Kommission hat in einer Rede vom 14.4.21 die offizielle Position der EU umrissen. Eine gute, kommentierte Version dieser Rede findet sich unter https://msfaccess.org/sites/default/files/2021-04/COVID_NoCountry_SpeechWTO_NoAuthor_2021_MSB71190_1081px.png

Frage: Indien, eines der beiden Länder, die den TRIPS-Waiver auf den Weg gebracht haben, ist Heimat des größten Impfstoffproduzenten der Welt, des Serum Institute of India (SII), der unter anderem große Mengen des AstraZaneca-Impfstoff herstellt und die zumindest in Indien für sehr moderate Preise verkauft. Da Indien möglicherweise noch weitere Kapazitäten aufbauen kann, steckt da hinter durchaus auch ein wirtschaftliches Interesse. Ähnliches dürfte auch für Südafrika gelten, wo es unausgelastete Produktionskapazitäten gibt. Zudem hat die indische Regierung schon seit längerem Covid-19-Impfstoffexporte aus Indien untersagt.

Antwort: Zunächst zu dem Punkt, dass Indien die Impfstoff-Exporte gestoppt hat: Seit Ende Januar kann die EU Lieferanten, die Lieferverpflichtungen für die EU haben, Ausfuhrgenehmigungen für in der EU produzierte Impfstoffe verweigern und hat davon auch schon Gebrauch gemacht – nur weil vertraglich vereinbarte Mengen nicht erzielt wurden, und das obwohl viele EU-Länder die bereits gelieferten Dosen noch längst nicht verimpft hatten. Die USA hat bisher fast gar keinen Impfstoff exportiert. Dagegen ist die in Indien aktuell stark reduzierte Ausfuhr (es werden weiterhin kleinere Spenden verteilt und auch weiterhin langsam an COVAX geliefert) eine direkte Reaktion auf die aktuelle dramatische Situation in Indien.

Tatsächlich ist Indien unter den Spitzenreitern, die weltweit die meisten Impfdosen exportiert haben – bisher über 66 Millionen [13], darunter 28 Millionen für COVAX. Darüber hinaus ist Indien nach China auf Platz zwei der meisten gespendeten Dosen (>9 Millionen, mehr als ein Drittel der gespendeten Gesamtmenge).

Dass auch Indien und Südafrika wirtschaftliche Interessen vertreten, mag stimmen. Der zentrale humanitäre Gesichtspunkt an dieser Stelle ist aber, dass so schnell, so viel und so günstig wie möglich Impfstoff produziert werden muss. Die in der Frage angesprochenen unausgelasteten Produktionskapazitäten sind eine verschenkte Chance, die Pandemie zu verkürzen. Indien ist offenbar in der Lage und gewillt, sehr viel Impfstoff zu vergleichsweise günstigen Preisen herzustellen und dieses zu exportieren – das halten wir für unterstützenswert! Und genau hier ist ein Vorteil vom TRIPS-Waiver gegenüber den Lizenzen, die es momentan nur dem SII erlauben Astra Zeneca herzustellen, wobei das Wissen ja nun nachweislich im Land ist und auf weitere Produktionsstätten ausgeweitet werden könnte.

Um eine ähnliche Entwicklung auch in anderen Schwellenländern zu ermöglichen, braucht es Initiativen wie den TRIPS-Waiver und geeignete Formen des Technologietransfers.

Verweise

[1] – https://docs.wto.org/dol2fe/Pages/SS/directdoc.aspx?filename=q:/IP/C/W669.pdf&Open=True
[2] – https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/europa-covid-19-impfstoff-engpass
[3] – https://www.who.int/director-general/speeches/detail/director-general-s-opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19-9-april-2021
[4] – https://healthpolicy-watch.news/views-from-a-vaccine-manufacturer-qa-abdul-muktadir-incepta-pharmaceuticals/https://theintercept.com/2021/04/29/covid-vaccine-factory-production-ip/https://www.mabxience.com/mabxience-enters-into-an-agreement-with-astrazeneca-to-produce-covid-19-vaccine/
[5] – https://youtu.be/86F-nFkskPs?t=4577
[6] – https://www.who.int/news/item/29-05-2020-international-community-rallies-to-support-open-research-and-science-to-fight-covid-19
[7] – https://medicinespatentpool.org/partners/mpp_global_manufacturers_open_pledge/
[8] – https://www.who.int/news-room/articles-detail/establishment-of-a-covid-19-mrna-vaccine-technology-transfer-hub-to-scale-up-global-manufacturing
[9] – https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/impfstoff-entwickler-biontech-mit-hohen-verlusten-aber-deal-mit-eu/26610220.html
[10] – https://www.rnd.de/wirtschaft/biontech-1-1-milliarden-euro-gewinn-im-ersten-quartal-2021-STBKXC2WVRLRGQEYKWVVIEIZ6E.html
[11] – https://www.theguardian.com/business/2020/nov/10/pfizer-and-biontech-could-make-13bn-from-coronavirus-vaccine
[12] – https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-impfstoff-biontech-105.html
[13] – https://www.mea.gov.in/vaccine-supply.htm

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Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e. V. ist ein deutschlandweiter Zusammenschluss von Menschen, die sich kritisch mit Auswirkungen des Einsatzes der Informatik und Informationstechnik auf die Gesellschaft auseinandersetzen. Unsere Mitglieder arbeiten überwiegend in informatiknahen Berufen, vom IT-Systemelektroniker bis hin zur Professorin für Theoretische Informatik. Das FIfF wirkt in vielen technischen und nichttechnischen Bereichen der Gesellschaft auf einen gesellschaftlich reflektierten Einsatz von informationstechnischen Systemen zum Wohle der Gesellschaft hin. Zu unseren Aufgaben zählen wir Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung und das Erarbeiten fachlicher Studien. Zudem gibt das FIfF vierteljährlich die "FifF-Kommunikation – Zeitschrift für Informatik und Gesellschaft" heraus und arbeitet mit anderen Friedens- sowie Bürgerrechtsorganisationen zusammen…und mehr lesen unter www.fiff.de

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