Neue Medikamente aus Nanopartikeln, die problemlos jede Grenzfläche innerhalb unseres Körpers durchdringen können, sind eine grosse Hoffnung der Medizin. Damit derartige Hoffnungsträger auf den Markt gelangen können, muss ihre Sicherheit gewährleistet sein. Hierbei muss auch geklärt werden, was passiert, wenn es einer Substanz gelingt, im Körper von schwangeren Frauen die natürliche Schranke zwischen Baby und Mutter, die Plazenta, zu durchdringen. «Auch Umwelttoxine können eine grosse Gefährdung für den sensiblen Fötus darstellen, wenn sie die Plazentaschranke durchdringen oder die Entwicklung und Funktion der Plazenta stören und so den Fötus indirekt schädigen», erklärt Tina Bürki, Empa-Forscherin vom «Particles-Biology Interactions»-Labor in St. Gallen. Mit der Fragestellung, wie sich diese sogenannte Embryotoxizität von Substanzen präzise, einfach und sicher bestimmen lässt, beschäftigt sich ein Team der Empa und der ETH-Zürich bereits seit Längerem. Nun entwickelt das Team ein neues System, das embryoschädigende Stoffe präzise erkennen und ohne Tierversuche auskommen soll. Ermöglicht wird das kürzlich gestartete Projekt durch die Zürcher Stiftung ProCare.
Herzstück des Verfahrens wird ein fingerlanger Polymer-Chip sein, der ein kleines Universum beherbergt: Hier wachsen Zellen, die die Plazenta-Schranke und den Embryo unter möglichst realitätsnahen Bedingungen abbilden sollen. Auf einer porösen Membran werden hierzu Zellen der Plazenta zu einer dichten Barriere kultiviert und embryonale Stammzellen in einem Tropfen Nährlösung zu einer winzigen Gewebekugel formiert. Um den Blutkreislauf zu simulieren, kippt ein Schüttler den Chip kontinuierlich hin und her. Testsubstanzen lassen sich auf der «mütterlichen» Seite der Plazenta zugeben. Auf diese Weise können die Forschenden den Transport der Testsubstanz und die Auswirkungen auf beide Gewebe untersuchen. «Wir wissen bereits, dass ein derartiges Testprinzip funktionieren kann, da ein vereinfachter Prototyp bei einer Vorstudie mit dem «Bio Engineering Laboratory» an der ETH Zürich entwickelt wurde», sagt Tina Bürki.
Das Besondere an diesem neuen Chip: Die Forschenden wollen die Zellmodelle entscheidend verbessern, indem die bisher verwendeten Labor-Zelllinien oder Mäuse-Zellen durch «primäre» humane Zellen und eine humane Stammzelllinie ersetzt werden. «Wir arbeiten eng mit der Frauenklinik des Kantonsspitals St.Gallen zusammen und können aus Plazenta-Gewebe, das nach einer Geburt entsorgt würde, die gesuchten Zellen isolieren», erklärt Bürki. Mit den gewonnenen Zellen soll ein verbessertes dreidimensionales Plazentamodell entwickelt werden. Am Ende erlaubt es der Embryo-Plazenta-Chip, das Zusammenspiel von Plazenta und Embryo nachzubilden und Transportprozesse an der Plazenta sowie direkte und indirekte Schadwirkungen einer Substanz auf die Embryonalentwicklung zu untersuchen.
Alternatives Modell im Vorteil
Studien zur Entwicklungstoxizität von Medikamenten und Umwelttoxinen greifen derzeit auf Tierexperimente mit trächtigen Mäusen zurück. In der EU wurden beispielsweise 2017 840’000 Tiere in der Toxizitäts- und Sicherheitsforschung eingesetzt, davon knapp 100’000 für die Entwicklungstoxizität. Dank dem neuen Chip liesse sich die Zahl dieser Tierversuche deutlich reduzieren. Dies ist nicht nur aus ethischer Sicht ein wichtiges Ziel, denn die Aussagekraft eines Tests mit trächtigen Mäusen ist für die Beurteilung der Medikamentensicherheit beim Menschen nicht optimal: «Die Plazenta ist bei jeder Tierart sehr spezifisch aufgebaut – und bei der Maus entsprechend anders als beim Menschen», sagt Empa-Forscherin Bürki. Bessere Erkenntnisse lassen sich aus dem geplanten alternativen in-vitro-Modell, also einem neuen System «im Reagenzglas», gewinnen, da die neue Chip-Technologie mit primären menschlichen Zellen die Geschehnisse an der Schnittstelle zwischen Mutter und Kind zuverlässiger abbilden könne.
Neue Therapien beschleunigen
Gedacht ist das neue Testsystem als einfache und präzise Möglichkeit, bereits früh in der Entwicklung von neuen Medikamenten die Sicherheit einer Substanz zu überprüfen und damit die Anwendung von neuen Therapien zu beschleunigen. Auf diese Weise unterstützt der Chip das Prinzip des «Safe by Design», das die frühe Integration von Sicherheitsaspekten in den Innovationsprozess vorsieht.
Der Bedarf an Entwicklungstoxizitätsstudien in der Industrie steigt aber auch aus einem anderen Grund an: Die Unbedenklichkeit von Chemikalien und Partikeln in der Umwelt muss geklärt werden, so wie es die aktuelle Chemikalienverordnung REACH verlangt. «Der Plazenta-Embryo-Chip soll letztlich ein benutzerfreundlicher Test-Kit sein, der wichtige Daten zu möglichen Gesundheitsrisiken während der Schwangerschaft liefern kann», so die Forscherin.
Die Ergebnisse des Projekts sollen darüber hinaus helfen, Wissenslücken beim Verständnis der Plazentaschranke zu schliessen. «Der Chip wird ein Modell sein, das die Vorgänge an der Plazenta und beim Embryo zusammenbringt. So hoffen wir, die komplexen Interaktionen, die mittels Signalstoffen ablaufen, künftig besser verstehen zu können», sagt Tina Bürki.
Forschungsförderung
Der Zukunftsfonds der Empa fördert herausragende Forschungsprojekte, die anderweitig (noch) nicht unterstützt werden. Für das vorliegende Projekt konnte die Schweizer Stiftung ProCare gewonnen werden, die Kosten des Projekts vollständig zu übernehmen. Die Organisation fördert Projekte, die im Bereich des Tierschutzes und Umweltschutzes besonders die angewandte Forschung voranbringen können. Im Gebiet des Tierschutzes unterstützt ProCare die 3R-Prinzipien (Replace, Reduce, Refine) für Tierversuche, also das Ersetzen, Reduzieren und Verbessern, mit einem Schwerpunkt auf den Einsatz von alternativen Methoden, die ohne Tiere oder tierische Produkte auskommen. Gerhard Gstraunthaler, Vorsitzender des Projektausschusses von ProCare betonte denn auch, dass das Projekt «Humanbasiertes Plazenta-Embryo-Chip-Modell» mit einem Top-Score begutachtet und als höchst förderungswürdig befunden wurde.
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