Fluglärm stellt für Anwohner von Flughäfen und in Flugschneisen oft ein Ärgernis dar – und schlimmstenfalls eine Gefahr für die Gesundheit: von Schlafstörungen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Europa waren 2017 laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur rund vier Millionen Menschen zu hohen Fluglärmpegeln ausgesetzt. Als Hoffnungsträger, um diese Belastung zu lindern, gelten neuartige Flugzeuge mit «Blended Wing Body», deren Rumpf in die Flügel «fliessend» übergeht – mit weniger Luftwiderstand und Treibstoffverbrauch. Und mit geringeren Lärmemissionen zum Boden hin, wenn die Triebwerke oben auf dem Rumpf angebracht sind.
Zwar lassen sich die Geräuschemissionen solcher Flieger mit Simulationstools abschätzen – doch ihre störende und belastende Wirkung auf Menschen lässt sich nur realistisch erfassen, indem man die subjektive Wahrnehmung von Betroffenen berücksichtigt. Akustikfachleute der Empa verfolgen seit Jahren erfolgreich den Ansatz der sogenannten Auralisation für Höreindrücke, analog zur Visualisierung für das Auge – zum Beispiel, um die Auswirkungen von Bahnlärm auf Menschen zu untersuchen.
Dieses Knowhow nutzten Reto Pieren, Axel Heusser und Beat Schäffer von der Abteilung «Akustik / Lärmminderung» auch im europäischen Projekt «ARTEM» («Aircraft Noise Reduction Technologies and related Environmental iMpact», siehe Infobox), in dem zahlreiche Partner Konzepte für lärmarme Langstreckenflugzeuge entwickelten – mit einem eigens entworfenen «Blended Wing Body» (BWB) und unterschiedlichen Triebwerkvarianten.
Zusätzlich berücksichtigte das Konsortium weitere Technologien zur Lärmminderung wie eine Flügelhinterkante mit optimierten Krüger-Klappen oder moderne Getriebefan-Triebwerke mit einem grossen Verhältnis des Luftstroms ausserhalb der Brennkammer zum Luftstrom des heissen Abgasstrahls, was den Lärm deutlich reduziert.
Lärmsimulationen – rein rechnerisch
Wie würden solche neuartige Langstreckenflugzeuge für rund 400 Passagiere im Vergleich zu herkömmlichen Flugzeugen abschneiden? Das Empa-Team publizierte ihre Ergebnisse nun im Fachjournal «Aerospace Science and Technology». Auf der Basis von physikalischen Gesetzen erzeugten die Experten Lärmsimulationen von Überflügen – rein synthetisch mittels Computerprogrammen. Sie überprüften diese Simulationen mit Aufzeichnungen von heutigen Flugzeugen von An- und Abflügen rund um den Flughafen Zürich. Weil die simulierten Geräusche mit den Messdaten gut übereinstimmten, liessen sie sich für den Vergleich mit den Simulationen für das neuartige BWB-Flugzeugkonzept verwenden.
Um zu erfassen, wie störend die Lärmimmissionen der unterschiedlichen Verkehrsflugzeuge beim Überflug auf Menschen wirken, nahmen 31 Personen im Alter von 18 bis 61 Jahren an aufwändig gestalteten Versuchen im «AuraLab» der Empa teil. Die räumlichen Simulationen aus den präzise angeordneten Lautsprechern umfassten – nach einem Durchgang zur Gewöhnung – 36 Überflüge: Starts und Landungen der konventionellen und innovativen Flugzeugtypen, jeweils in unterschiedlichen Flugphasen. Diese Lärmszenarien umfassten auch Details wie Klappenstellungen oder die Position des Fahrwerks sowie atmosphärische Bedingungen wie Turbulenzen oder Schallreflexionen am Boden.
Nach dem Experiment füllten die Versuchspersonen Fragebögen aus, in denen sie ihre subjektiven Eindrücke wiedergaben – mit Hilfe einer gängigen und standardisierten 11-Punkte-Skala, die von 0 für «überhaupt nicht gestört oder belästigt» bis zu 10 für «äussert gestört oder belästigt» reichte. Zudem wurden sie befragt, wie vertraut das jeweilige Schallereignis für sie klang.
Deutlich geringere Belästigung empfunden
Die Resultate: Beim neuartigen BWB-Flugzeug wurde die Belästigung im besten Fall um 4,3 Einheiten schwächer bewertet als beim herkömmlichen Passagierjet. Ein deutlicher Unterschied also, der auch daran lag, dass der virtuelle Flieger in der Simulation mit weiteren Technologien zur Lärmminderung oder besonders emissionsarmen Triebwerken ausgestattet war. Zudem zeigten die Befragungen, dass Starts dieses Flugzeugtyps einen Klangeindruck hinterliessen, der den Teilnehmenden weniger vertraut war – ein Hinweis auf ungewöhnliche akustische Merkmale, die wahrscheinlich auch das Belästigungsempfinden positiv beeinflussen dürfte.
Welche Variante eines BWB-Flugzeugs sich in Zukunft durchsetzen kann, ist angesichts vieler möglicher Varianten freilich kaum vorherzusagen. Sicher ist laut Empa-Forscher Reto Pieren aber eines. «Der stärkste Beitrag zur Lärmminderung stammt zweifellos von der Form des Flugzeugs, die den Triebwerkslärms nach unten abschirmt», so der Akustiker, «weitere Technologien zur Lärmminderung machen nur etwa 15 Prozent der Reduzierung der Belästigung aus.»
Grosse EU-Studie zu Fluglärm
«ARTEM» («Aircraft noise Reduction Technologies and related Environmental iMpact») war ein fünfjähriges Forschungsprojekt, das sich ab Ende 2017 mit neuartigen Technologien zur Lärmreduzierung für Flugzeugkonfigurationen ab 2035 und 2050 befasste. Zum einen wurden innovative Ansätze entwickelt, um den Fluglärm an der Quelle zu mindern. Zum zweiten befasste sich das Projekt mit Konzepten, um Triebwerkslärm und andere Lärmquellen durch neue Materialien effektiv zu dämpfen. Die neuen Technologien mündeten in das Design eines künftigen Jets mit «Blended Wing Body». Beteiligt an dem Grossprojekt waren 24 Partner aus zehn europäischen Ländern, darunter das französische «Office national d’études et de recherches aérospatiales» (ONERA) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das das Projekt koordinierte, die Universität Rom III und die EPFL. Finanziert wurde «ARTEM» im Rahmen des EU-Förderprogramms Horizon 2020.
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