„Die Todesfälle durch COVID-19 sind meist mit einer Sepsis verbunden“

Patienten und Patientinnen mit tödlichem COVID-19-Verlauf sterben meist an einer Sepsis, also einer „Blutvergiftung“, wie es in der Alltagssprache heißt. Wie kann es zu einer Sepsis kommen? Darüber haben wir mit Prof. Dr. med. Sebastian Ley gesprochen. Professor Ley ist Facharzt für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und seit 2012 Chefarzt am Artemed Klinikum München Süd sowie am Internistischen Klinikum München Süd. Professor Ley ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Thoraxdiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft.

Professor Ley, was macht eine Sepsis so gefährlich?

Der Körper des Menschen wehrt Infektionen in der Regel gezielt durch verschiedene Reaktionen ab. Er kontrolliert diese Reaktionen und passt sie normalerweise dem Infektionsgeschehen an. Bei einer Sepsis funktioniert diese Anpassung aber nicht mehr. Es kommt zu einer fehlenden Modulation der Immunantworten mit unbegrenzter Aktivierung von entzündungsfördernden Prozessen („Zytokinsturm“), also einer Art biologischen Überreaktion, die sich nicht nur gegen den Erreger wendet, sondern dem Körper insgesamt schadet und bei den Betroffenen zahlreiche Entzündungen zur Folge hat. Dies stört die Funktion der Endothelzellen, Zellen, die Blutgefäße im menschlichen Körper auskleiden. Die Störung führt zu einem Leck in den Kapillaren, Erreger gelangen in die Blutbahnen und es bildet sich ein generalisiertes und sich weiter verstärkendes generalisiertes Ödem. In den Gefäßen Betroffener bilden sich verstärkt Blutgerinnsel und zugleich verlieren ihre Körper die sonst vorhandene Fähigkeit, Blutgerinnsel selbstständig aufzulösen. Insgesamt führt dies zu einer globalisierten Organdysfunktion und in letzter Konsequenz zu einem Multiorganversagen. Prof. Dr. Sebastian Ley, Chirurgisches Klinikum München Süd und Internistisches Klinikum München Süd © Artemed Klinikum München SüdBei Sepsis handelt sich um eine hochkomplexe Erkrankung, zu deren Verständnis sich eine eigene Gesellschaft gebildet hat, die Deutsche Sepsis-Gesellschaft. Diese hat im Jahr 2020 eine S3-Leitlinie zum Thema Sepsis publiziert. Darin wurde die Sepsis beziehungsweise der septische Schock definiert als eine trotz adäquater Volumentherapie persistierende arterielle Hypotension mit der Notwendigkeit einer Therapie mit Vasopressoren, um einen mittleren arteriellen Blutdruck von ≥ 65 mmHg zu erreichen. Gleichzeitig muss der Laktatwert im Serum > 2 mmol/l betragen.

Ist es möglich, medizinisch zu verhindern, dass sich eine Infektion zu einer Sepsis entwickelt?

Eine Sepsis wird, in absteigender Häufigkeit, ausgelöst durch Bakterien, Pilze, Parasiten und Viren. Eine frühe Infektionsbekämpfung, vor allem lokal zum Beispiel in einer Wunde, ist die wichtigste Maßnahme. Bei anderen Infektionen ist eine optimale Therapie mit Antibiotika essentiell. Trotz dieser Maßnahmen kann es aber zu einer Sepsis kommen, da die Immunantwort des menschlichen Körpers auf eine Infektion nicht vorhersagbar ist.

Gegen Sepsis gibt es bisher keine spezifischen Therapien. Hilft also allein, Diagnosen früh zu stellen und rasch mit der ärztlichen Behandlung zu beginnen, die ja oft intensivmedizinisch erfolgen muss?

Gelingt die Bekämpfung der erkrankten Organismen durch antimikrobielle Substanzen nicht, lässt sich eine Sepsis auch aktuell nur symptomatisch behandeln. Medizinische Versuche, die zahlreichen Entzündungen im Körper bekämpfen, zum Beispiel durch Zytokinantagonisten, sind bisher gescheitert. Der einzige spezifische Ansatzpunkt ist die Bekämpfung der ursächlichen Infektion. Diese muss erkannt werden, bevor sie spezifisch therapiert werden kann, und hier kommen radiologische Verfahren zum Einsatz. Klinisch wird bei Patienten anhand eines diagnostischen Scores („quick Sequential Organ Failure Assessment“ (qSOFA)-Score) beurteilt, ob eine Sepsis vorliegt. Der qSOFA-Score nutzt zur Risikoabschätzung die Variablen: veränderter mentaler Status, systolischer Blutdruck < 100 mmHg oder eine Atemfrequenz ≥ 22/min. Verglichen mit einem qSOFA-Score von 0 oder 1 Punkt haben Patienten mit einem qSOFA Score von 2 bzw. 3 Punkten ein 3-fach bzw. 14-fach erhöhtes Risiko zu versterben. Da sich die pathogenen Keime im Fall einer Sepsis in der Blutbahn befinden, ist die Abnahme von Blutkulturen die klinisch wichtigste Maßnahme zur Sicherung des Keims. Ein Drittel bis die Hälfte aller Patienten stirbt an der Sepsis. Das sind allein in Deutschland etwa 70.000 Menschen pro Jahr. Damit ist Sepsis die dritthäufigste Todesursache in Deutschland nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs.

Mit welchen Verfahren diagnostizieren Radiologen und Radiologinnen eine beginnende oder bereits entwickelte Sepsis?

Die häufigsten Pathogene, die einen septischen Schock verursachen, sind gramnegative Bakterien sowie grampositive Mikroorganismen. Die Lokalisation, wo sich der Keim spezifisch organisiert und streut, kann mit radiologischen und nuklearmedizinischen Methoden lokalisiert werden. Die Keime können dann entsprechend schnell chirurgisch oder interventionell behandelt werden. Die hohe Letalität der Erkrankung erfordert eine rasche Diagnostik. Radiologen nutzen dafür vor allem die Computertomografie als breit verfügbare und etablierte Technik. Eine Akquisition mit intravenös gespritztem Kontrastmittel ist empfohlen, Oberbauch und Becken in arterieller Phase gefolgt von Schädel, Hals, Thorax und Oberbauch/Becken portalvenös. Bei Verdacht auf einen Fokus der Infektion im Bauch oder Unterleib des Patienten kann auch eine Spätphase (3-5 min) hilfreich sein. Typische und etalierte Zeichen weisen auf eine Entzündung und den Schweregrad der hämodynamischen Veränderungen hin. Wenn sich hieraus keine eindeutige Infektionsquelle nachweisen lässt, kann auch eine MRT hilfreich sein, um z.B. zerebrale Infektionen oder eine Spondylodiszitis sicher nachzuweisen. Die bildgebende Methode FDG-PET ist sehr geeignet zur Abklärung der Infektionslokalisation, da diese Technik zum Beispiel auch infizierte Herz-Schrittmacher und Defibrillatoren sicher nachweist.

Aus welchen direkten oder indirekten Hinweisen können Radiologen und Radiologinnen auf einen Sepsis-Herd im Körper eines Patienten oder einer Patientin schließen beziehungsweise auf die Ursache der Sepsis?

Die häufigsten Lokalisationen von Infektionen sind pulmonal, also in der Lunge verortet, aber auch in Organen wie zum Beispiel Herz, Niere, Leber oder dem Darm. Betroffen sein können das zentrale Nervensystem sowie die Weichteile des Menschen. Daher müssen Radiologen diese Areale mit entsprechender Aufmerksamkeit beurteilen. Vor allem klinische Angaben zum möglichen Infektionsherd sind essentiell, um zwischen primären und sekundären Veränderungen zur differenzieren. Die Computertomografie erlaubt aber in der Regel die Lokalisation der Infektionsquelle durch die allseits bekannten Veränderungen. Neben den oben erwähnten Techniken Computertomografie und PET/CT kommt auch die Sonographie zum Einsatz, die etwa bei Entzündungen an den Nieren oder am Herzen sehr nützlich ist.

An Sepsis Erkrankte müssen während der akuten Phase und danach sicherlich radiologisch intensiv betreut werden. Können Sie beschreiben, wie diese Betreuung – auch in der Nachsorge – aussieht?

Während der akuten Sepsis-Phase sind radiologische Kontrollen in der Regel fokussiert auf die Beurteilung der Lunge, da viele Patienten, neben einem Multiorganversagen, ein akutes Lungenversagen erleiden. Im Verlauf entwickeln sich allerdings primär myopathische oder neuropathische Veränderungen, welche nur langsam zurückgehen. Daher kommt der Radiologie in der Post-Akut-Phase nur eine geringe Bedeutung zu.

Können Menschen präventiv etwas tun, um sich vor einer Sepsis zu schützen?

Der Prävention von Infektionen kommt die größte Bedeutung zu. Man kann sich generell schützen, indem man sich vor einer Infektion schützt. Hierbei ist zum einen die generelle Hygiene zu erwähnen als auch ein sorgfältiger Umgang mit Wunden und zum Beispiel entzündeten Insektenstichen. Gleichzeitig sollten chronische Erkrankungen wie etwa Diabetes mellitus behandelt sein. Um Infektionen bereits in der Frühphase durch den Körper gezielt bekämpfen zu können, sind Impfungen ein essenzieller Bestandteil der Prävention.

Studien zeigen, dass rund ein Viertel aller Patienten und Patientinnen, die an COVID-19 erkranken, eine Sepsis entwickeln. Könnten Sie uns diesen Zusammenhang erläutern?

Es ist richtig, dass rund 25 Prozent der COVID-19 Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, einen septischen Schock erleiden. Die Todesfälle durch COVID-19 sind meist mit einer Sepsis verbunden. Bei der COVID-19-Erkrankung handelt es sich um eine Viruserkrankung, welche nicht gezielt therapiert werden kann. Daher kann man die Infektion nicht rasch medikamentös eindämmen. Im Rahmen der massiven Entzündungen durch das Virus kommt es bei einigen Patienten zu dem oben erwähnten Zytokinsturm und einer globalen Entzündung/Sepsis. Verschiedene Daten zeigen bei diesen Patienten in 30 Prozent der Fälle eine Leberschädigung, in 20 Prozent ein akutes Nierenversagen und in 75 Prozent eine gestörte Immunantwort. Diese andauernden Auswirkungen auf das Immunsystem scheinen eine der Hauptursachen für das Long-COVID Syndrom zu sein.

Sie sind Mitautor der Empfehlungen für Ärzte und Ärztinnen zur „Thoraxbildgebung und strukturierten CT-Befundung bei COVID-19-Patienten“ der Deutschen Röntgengesellschaft. Wenden Ärzte und Ärztinnen diese Empfehlungen auch bei Patienten und Patientinnen an, die an COVID-19 erkrankt sind und bei denen eine Sepsis diagnostiziert wurde?

Die Empfehlungen zur strukturierten Befundung und Schweregradeinschätzung der Deutschen Röntgengesellschaft sind ein wesentlicher Aspekt, um die Erkrankung möglichst früh einzuschätzen. Schwer von COVID-19 betroffene Patienten sind, wie beschrieben, in der Regel auch häufiger von einer Sepsis bedroht. Daher sind diese Angaben wichtig für eine erhöhte Wachsamkeit der Intensivmediziner zum Monitoring der Patienten und dem frühzeitigen Erkennen einer beginnenden Sepsis. Dabei ist auch die Erfassung der Komorbiditäten im CT wichtig, da dies die Gesamtkrankheitslast der Patienten einschätzbar macht. Wenn eine Sepsis aus bisher ungeklärter Ursache eingetreten ist, ist, wie oben ausgeführt, die Computertomografie das geeignete Verfahren, um den Fokus zu identifizieren. Auch hier spielen die Beurteilung und vor allem systematische Beurteilung der Lunge eine wichtige Rolle.

Eine Pressemitteilung zum Thema Radiologie und septische Erkrankungen finden Sie hier.

Kurzbiografie Prof. Dr. Sebastian Ley
Prof. Dr. Sebastian Ley ist Facharzt für Diagnostische und Interventionelle Radiologie. Sein Studium der Humanmedizin absolvierte er in Mainz. An den Universitätsklinika in Mainz und Heidelberg (DKFZ) wurde er zum Facharzt ausgebildet. Danach war er mehrere Jahre in Heidelberg als Oberarzt tätig. Von 2009 bis 2012 war er Visiting Professor in Toronto mit dem Schwerpunkt Herzbildgebung. Dem folgten eine Berufung zum Außerplanmäßigen Professor an der LMU München sowie Chefarztpositionen in München. Seit 2012 ist Professor Ley Chefarzt am Artemed Klinikum München Süd sowie am Internistischen Klinikum München Süd. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Thoraxdiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft.

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